Tölzer Kurier (19. September 2002)
Der Bundestags-Kandidat,
das unbekannte Wesen
Wie gut kennen die Tölzer ihre Politiker?
VON MARION DÖRNER UND DANIEL WIRSCHING
Bad Tölz - Nah am Bürger wollen
sie sein, unsere Bundestags-Direktkandidaten. Bekannt wollen
sie sein wie Polit-Stars der Marke Stoiber oder Schröder.
Beliebt beim Volk wollen sie auch sein. Und: Gewählt
wollen sie werden. Das sind gleich mehrere Wünsche auf
einmal. Fast schon zu viele. Denn zwischen Wunsch und Wahrheit
klafft eine entscheidende Lücke - die Wirklichkeit. Und
die stellt den Abgeordneten sowie denen, die es werden wollen,
ein schlechtes Zeugnis aus: Kaum einer kennt sie.
Der Tölzer Kurier machte die Probe aufs Exempel. Ausgestattet
mit Fotos von Ilse Aigner (CSU), Klaus Barthel (SPD), Claudius
Rafflenbeul-Schaub (Bündnis 90/Grüne), Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(FDP) und Helmut Groß (PDS) waren zwei Mitarbeiter in
der Kurstadt unterwegs. Ihr Auftrag: Herausfinden, ob die
Bürger ihre politischen Vertreter kennen. Das Ergebnis:
Meistens nicht.
Warum das so ist, erklärt Lore Heuer (Bad Tölz):
"Man wählt ja die Parteien und nicht die Personen."
Außerdem interessiere sie sich nicht so für die
Männer - Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat Heuer
tatsächlich gleich erkannt. So ergeht es auch Heuers
Ehemann Richard. Er ist von allen Befragten am besten informiert.
Neben Leutheusser-Schnarrenberger kann er auch "den von
der SPD" und "das ist doch die Aigner" einordnen.
Anderen Passanten fiel das nicht so leicht. Sie hielten die
Starnberger FDP-Kandidatin und Ex-Bundesjustizministerin zumeist
für jemanden anders - nämlich für Angela Merkel
(CDU), ausgerechnet. Wohl ein Promi-Bonus. Denn auch sonst
politisch Unbedarfte glauben die Abgeordnete zu erkennen:
"Ist das nicht irgend so eine Politikerin?"
PDS-Kandidat Helmut Groß wird ebenfalls in die unterschiedlichsten
Schubladen eingeordnet. Ein Mann, der unbedingt anonym bleiben
will, hält ihn gar für den alternden Schlagerbarden Chris
Roberts. Und Klaus Barthel aus Kochel, immerhin schon seit
acht Jahren Bundestagsabgeordneter? Wenn er nicht gerade mit
Helmut Groß (die Locken?) verwechselt wird, stecken
ihn die Bürger in so manche Konkurrenz-Partei ("Ist
der bei den Republikanern?"), nur nicht zu den "Sozis".
Katharina Weihard glaubt sogar, "gestern einen ähnlichen
Mann wie auf dem Bild im Zug gesehen zu haben". Mag sein
- vielleicht war der "Spitzen-Grüne" Claudius
Rafflenbeul-Schaub wirklich auf Schienen unterwegs. Ökologisch
vorbildlich wäre das allemal.
Gut lachen hat nur Busfahrer Günter Nörpel aus
Kochel. Bei Barthels Konterfei muss er grinsen und gibt freimütig
zu, dass er diesen Herrn auf Anhieb erkennt. Kein Wunder,
ist der SPD-Kandidat doch Nörpels Nachbar. Bei den anderen
Politikern tut er sich allerdings ein wenig schwerer. "Vom
Sehen kenne ich die alle, aber die Namen?"
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