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Isar-Loisachbote (31. August 2002)
"Schnauze voll von Talk-Show-Politik"
Gast der Redaktion: Rezzo Schlauch
Wolfratshausen - "Bremen und das Saarland
fehlen mir noch", sagt Rezzo Schlauch. Dann hätte
der Fraktionschef der Grünen im Bundestag auf seiner
Wahlkampftour alle Bundesländer passiert. Wolfratshausen
hat Schlauch gestern abgehakt, wenngleich es ihn schmerze,
"wenn ich das schöne Bayern wieder verlassen muss".
Doch für den Aufenthalt in der Heimatstadt des Unions-Kanzlerkandidaten
nimmt sich der "Ober-Realo" (Schlauch über
Schlauch) Zeit.
Man habe Wolfratshausen ganz bewusst ausgewählt, sagt
Claudius Rafflenbeul-Schaub, Direktkandidat der Grünen
im Wahlkreis 225. Der bekennende Genussmensch Schlauch sei
doch "ein schöner Kontrast" zu Edmund Stoiber.
Dem hält der Grünen-Fraktionschef vor, bei der Debatte
über die Flutschäden "alte Fehler" gemacht
zu haben. "Pomadig" sei Stoiber ans Thema gegangen
und habe versucht, "die Flutkatstrophe mit der Arbeitslosigkeit
zu überdecken".
Ihn wundere das Verfahren, sagt Schlauch: Stoiber halte den
von der Bundesregierung eingeschlagenen Weg zur Finanzierung
für falsch, stimme aber zu "und kündigt an, 'wenn
wir dran sind, machen wir das rückgängig'".
Der bayerische Ministerpräsident "zaudert und zögert",
wechsle seine Positionen und sei nicht entscheidungsfreudig.
"Die Flut ist eine innenpolitische Katastrophe",
urteilt Schlauch. Um der zu begegnen, "muss man andere
Kompetenzen beweisen". Das Jahrhundert-Hochwasser zeige,
dass grüne Politik wichtig sei. Dass die Partei derweil
um die Sieben-Prozent-Marke dümpelt, ficht den Fraktionschef
nicht an. Die Bierzelte und Gasthäuser seien bei Wahlkampfveranstaltungen
voll, die Menschen hätten "die Schnauze voll von
Talk-Show-Politik". Die Grünen seien für ihre
Wähler klar erkennbar. "Wir kommen am Ende mit einer
Acht vor dem Komma raus", prognostiziert Schlauch, die
rot-grüne Bundesregierung werde am 22. September "im
Foto-Finish mit einer Brustlänge" Wahlsieger.
Kritik an dieser Bundesregierung aus dem eigenen Lager nimmt
der Politiker gelassen. Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte,
die angesichts von bodenlosen Haushaltslöchern zornig
gen Berlin blicken, seien "nicht richtig informiert".
Leere Stadtsäckel seien eine Konsequenz der Steuerpolitik
der Kohl-Regierung. Ab 1. Januar 2003 gelte die Definitivbesteuerung,
verspricht Schlauch Besserung, "dann werden da Gewerbesteuern
gezahlt, wo sie anfallen". Die Grünen hätten
schneller Hilfestellung geben wollen. "Wir wollten Sofortkredite
für besonders notleidende Gemeinden", doch beim
Koalitionspartner SPD war man auf taube Ohren gestoßen.
Viele grüne Vorschläge würden sich jetzt aber
"unter dem Hartz-Label wiederfinden".
Sind die Grünen gerne an der Regierung? Schlauch schlägt
die Beine übereinander, erinnert an die Zeit, als es
hieß: "Ach, die Grünen mit ihren Windmühlen
und Windrädchen." Regierungsverantwortung zu übernehmen,
"das war eine kulturelle Veränderung ersten Ranges.
Mitunter ein problematischer Prozess". Doch eine "Gesamtschau"
nach vier Jahren zeige eine "stolze Bilanz", die
Grünen "brauchen sich nicht zu verstecken".
Beispiel regenerative Energien: "Wir haben Windkrafträder
aus ökologischen Gründen auf den Weg gebracht."
Mittlerweile rühmten konservative Politiker die wirtschaftliche
Komponente solcher Projekte.
Also bereut es Rezzo Schlauch nicht, Fraktionschef statt
- wie in jungen Jahren erträumt - Frontman einer Rockband
geworden zu sein? "Ach, wissen Sie: Frontman ist Frontman."
cce/va
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