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Brennessel 3/1999
Für ein neues grünes Zukunftsprogramm
von Claudius Rafflenbeul-Schaub
Wer in den letzten Wochen die Zeitungen aufgeschlagen hat,
konnte feststellen, daß es in den Regierungsparteien
- nach dem Kosovo-Konflikt - wieder kräftig rumort.
Die Innenpolitik, insbesondere die hohe Staatsverschuldung,
die Zukunft unseres Rentensystems und die nach wie vor desolate
Lage am Arbeitsmarkt, steht wieder voll im Vordergrund und
es offenbart sich immer mehr, daß die Linke in Deutschland
zwar die Bundestagswahl vor einem Jahr gewonnen hat, aber
scheinbar nicht wirklich mental, inhaltlich und personell
darauf vorbereitet war. Jetzt rächt es sich bitter, daß
SPD und Bündnis 90/Die Grünen in 16 als Jahren Opposition
einen Teil ihrer Hausaufgaben versäumt haben. So gibt
es zwar viele schöne Konzepte (die öko-soziale Steuerreform,
BAFF - um auf grüner Seite ein paar zu nennen), aber
wohin die Parteien eigentlich wollen, haben sie versäumt
vor dem 27. September 1998 wirklich festzumachen. Die Realität
der Regierungsverantwortung würde schon alles richten,
haben wohl nicht wenige gehofft. Quasi als eine Art Crash-Kurs
in Sachen "Regieren lernen". Aber der jetzt erst
offen ausgebrochene Konflikt über die Richtung, der innerhalb
von SPD und Grünen unter dem oberflächlichen Label
"Modernisierer gegen Traditionalisten" ausgetragen
wird, hätte schon vor Regierungsantritt ausdiskutiert
und entschieden werden müssen. In diesem Punkt unterscheidet
sich die rot-grüne Bundesregierung von Gerhard Schröder
entscheidend von ihrem immer wieder gerne bemühten britischen
Vorbild Tony Blair und seiner New Labour Regierung. Aber die
Probleme des SPD-Chefs mit seiner eigenen Partei berühren
uns Grüne zum Glück nur am Rande (solange man davon
ausgeht, daß wir nicht für immer und alle Zeiten
unser eigenes politisches Schicksal als Juniorpartner an die
SPD gekettet haben).
Auch wir Grünen schleppen, nicht erst seit unserer,
über fünf Jahre währenden, heißen Debatte
um Krieg und Frieden, unausgetragene Konflikte mit uns herum.
Diese wurden seit dem Wahldebakel von 1990 jedoch im sogenannten
"Burgfrieden" zwischen "Linken" und "Realos"
zementiert und sind - ganz nach kohlscher Manier - bis heute
ausgesessen statt ausdiskutiert worden. Gleichzeitig findet
sich die Partei, mit Ihrem ersten, immer noch gültigem
Programm vom Saarbrücker Parteitag im März 1980,
mit ihren Grundsätzen in den frühen 80er Jahren
verhaftet. Die Realität der deutschen Wiedervereinigung
und des Zusammenwachsen der Welt jenseits der alten Blockkonfrontation
ist darin nicht niedergeschlagen. Zwar wagte man bei der Vereinigung
von Grünen (West) und Bündnis 90 (Ost) im Jahre
1993, mit dem überarbeiteten Grundkonsens, einen ersten
zaghaften Schritt Richtung ökologische Bürgerpartei.
Die schwierige Lage der Landesverbände in Ostdeutschland
(außer Berlin) ist allerdings bezeichnend für den
Zustand der Gesamtpartei. Spätestens seit dem Magdeburger
Programm zur Bundestagswahl 98 mußte uns allen schlagartig
klar werden, was eine Vermengung von langfristigen Grundsätzen
und kurz- bis mittelfristigen Perspektiven einer vierjährigen
Legislaturperiode (Stichwort: 5 Mark Debatte) für katastrophale
Auswirkungen für die Partei hatte: Von Umfrageergebnissen,
die eine ganze Zeit lang bei magischen 12% lagen, rutschten
wir ab und haben uns seit dem nicht mehr von der vermeintlichen
Refundamentalisierung (so das Echo der Medien) erholen können.
Unabhängig von der allgemeinen Tagespolitik ist es
nun endlich an der Zeit, ein neues Zukunftsprogramm für
unsere Partei in Angriff zu nehmen. Dabei waren die Grünen
nie klassische Programmpartei, wie z.B. die SPD. Trotzdem
kommen wir auf Dauer nicht darum herum, eine klare, langfristige
und aktuelle Zukunftsperspektive für die Partei zu bieten,
wenn sie nicht zum Ein-Generationen-Projekt der 68er verkommen
soll. Der Wähler verlangt Klarheit über die programmatischen
Grundwerte einer Partei, die er wählen soll. Wie oft
ist am Infotisch zu hören, man wisse eigentlich gar nicht,
wofür die grüne Partei nun überhaupt noch stehe.
Während sich die anderen Parteien in der deutschen Parteilandschaft
historisch auf die Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und
Sicherheit berufen und ihren jeweiligen Schwerpunkt auf einen
dieser drei zentralen Grundwerte legen (die F.D.P. steht im
Konflikt zwischen den Grundwerten im Zweifel für die
Freiheit, die SPD für die Gerechtigkeit und die Union
für die Sicherheit), tun sich die Grünen mit ihrer
Positionierung in diesem Dreiklang der politischen Grundwerte
immer noch schwer. Wir sind in diesem Sinne längst noch
keine "etablierte Partei" geworden. Erst langsam
scheint sich mit dem Begriff der Nachhaltigkeit der zentrale
Grundwert grüner Politik zu kristallisieren. Diesen an
sich erst mal "leeren" Begriff mit konkreten Inhalten
wie Umweltschutz und Generationengerechtigkeit zu füllen
und die grüne Positionierung im oben erwähntem
Spannungsverhältnis zwischen Freiheit, Gerechtigkeit und Sicherheit zu
finden, muß Aufgabe des angedachten Zukunftsprogramms sein.
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