Brennessel 3/1998
Zukunft - Bundeswehr?
von Claudius Rafflenbeul-Schaub
Wenn es um Reformen geht, tun wir Deutschen uns immer besonders
schwer. Egal ob Ladenschluß oder Steuerreform, Rentensystem
oder Studienfinanzierung - Veränderungen steht man erstmal
skeptisch gegenüber.
So auch, wenn es um die Zukunft der Bundeswehr geht. Das
Relikt Wehrpflicht stammt noch aus einer Zeit, die mit der
heutigen kaum zu vergleichen ist. Unbeschadet konnte sie das
Kaiserreich und den Nationalsozialismus (zwei Weltkriege),
sowie den Zusammenbruch des Warschauer Paktes und der Sowjetunion
- den Beginn der "neuen Weltordnung" - überdauern.
Verteidigungsminister Rühe und sein Generalinspekteur
beteuern immer wieder: "Die deutsche Wehrpflicht steht
nicht zur Diskussion."
Tatsache aber ist, daß sich die sicherheitspolitische
Lage in Europa seit 1990 tiefgreifend verändert hat.
Die Bundeswehr hatte ursprünglich den Auftrag der Landes-
und Bündnisverteidigung. Heute sind Deutschland und seine
Verbündeten militärisch nicht mehr bedroht. Kein
Staat in unserer Umgebung hat derzeit die Absicht uns anzugreifen.
Rußland, von manchen immer noch als potentieller Aggressor
gesehen, verfügt gar nicht mehr über die Mittel,
uns anzugreifen. Selbst die Experten der Bundeswehr gehen
im Falle von ausländischen Angriffshandlungen von einer
mehrjährigen Vorwarnphase aus.
Momentan wird die Bundeswehr eigentlich nur für internationale
Friedensmissionen und weltweite Kriseninterventionen im Rahmen
der UNO gebraucht. Dafür aber benötigt sie wenige,
gut ausgebildete Spezialisten und keine Masse von unmotivierten
und, in zehn Monaten, unzureichend ausgebildeten Wehrpflichtigen.
Was gegen die Wehrpflicht spricht
Die meisten NATO-Staaten haben inzwischen den Ausstieg aus
der Wehrpflicht vollzogen oder angekündigt und ihre Truppenstärke
reduziert. Auch die Bundeswehr kann ihre Aufgaben in Zukunft
mit deutlich weniger Soldaten erfüllen. 200.000 Mann
würden vollkommen ausreichen. Bei dieser Sollstärke
würde die Wehrpflicht endgültig zum Rutschen kommen,
denn schon bei der momentanen Truppenstärke von 340.000
Mann ist keine Wehrgerechtigkeit mehr gegeben. Ohne die Gleichbehandlung
aller aber ist die Pflicht zum Dienst, der die betroffenen
jungen Männer ein kostbares Jahr ihrer Zeit kostet, nicht
mehr vertretbar.
Es ist eine Illusion zu glauben, daß der Zivildienst
- der pro forma einen Wehrdienstersatz nur in Ausnahmefällen
(!) darstellen soll - umgewandelt zu einem eigenständigen
Dienst - was er in der Realität inzwischen geworden ist
- die Dienstgerechtigkeit garantiert. Gegenwärtig haben
wir die verfassungsrechtlich bedenkliche Praxis, daß
auf der Basis der Wehrpflicht eine allgemeine Dienstpflicht
existiert. Dieser Zustand läßt sich kaum rechtfertigen.
Außerdem darf man nicht vergessen, daß es sich
bei der Wehrpflicht um einen Zwangsdienst handelt, der einen
erheblichen Eingriff des Staates in die persönliche Freiheit
der Betroffenen darstellt. Weder der Dienst mit der Waffe,
noch der Ersatzdienst aus Gewissensgründen (der mit drei
Monaten längerem Zwangsdienst "bestraft" wird),
darf den mündigen jungen Bürgern aufgezwungen werden!
Schon heute sind eine Vielzahl von Jugendlichen dazu bereit,
freiwillig einen - teilweise sogar verlängerten - Wehrdienst
oder ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr
zu leisten und somit Verantwortungsbewußtsein für
unser Allgemeinwohl zu demonstrieren.
Gegenargumente
Die beiden am häufigsten genannten Gegenargumente sind
leicht zu widerlegen:
Gegenargument Demokratie: Oft wird behauptet, die Wehrpflicht
verhindere, daß sich die Bundeswehr zum Staat im Staat
(wie zu Weimarer Zeiten) herausbilde. Dieses Argument zeugt
vom Unkenntnis der Struktur der Bundeswehr. Die Bundeswehr
besteht auch heute schon zu einem großen Teil aus Berufs-
und Zeitsoldaten, Wehrpflichtige stehen nur am untersten Ende
der Befehlshierachie und haben wenig Einfluß auf die
demokratische Gesinnung des Offiziers- und Unteroffizierskorps.
Gegenargument Zivildienst: Auch wird behauptet, durch den
Wegfall der Wehrpflicht, und damit auch des Zivildienstes,
bräche unser Sozialsystem zusammen. Im Gegenteil! Viele
Zivildienstleistende füllen heute Stellen aus, die eigentlich
für professionelle Arbeitskräfte vorgesehen sind.
Zivis werden oft als billige Alternative zu regulären
Beschäftigten ausgebeutet. Dabei könnte ein vollbezahlter
Beschäftigter besser arbeiten und mehrere unausgebildete
Zivis ersetzen. In diesem Bereich liegt eine Beschäftigungschance,
die wir bei unseren hohen Arbeitslosenzahlen nicht übersehen
dürfen!
Fazit
Die Wehrpflicht ist überholt und deswegen abzuschaffen.
Die Bundeswehr wird in Zukunft mit 200.000 Mann, bestehend
aus Berufs- und Zeitsoldaten, Reservisten und freiwilligen
Wehrdienstleistenden, auskommen können. Der Zivildienst
wäre problemlos durch festangestellte, professionelle
Arbeitskräfte im Gesundheits- und Sozialbereich, ergänzt
durch freiwilliges und ehrenamtliches Engagement, zu ersetzen.
Dazu bedarf es nicht mal einer Grundgesetzänderung, denn
die Wehrpflicht kann jederzeit durch ein einfaches Gesetz
ausgesetzt werden.
Sollte der politische Wille in der Bundesrepublik - auch
nach der Bundestagswahl '98 - dazu fehlen, bleibt uns der
Trost, daß die Haushaltsentwicklung weitere Kürzungen
im Wehretat erzwingen wird, und somit über kurz oder
lang das Ende der Wehrpflicht eingeleitet wird.
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